Hilfsaktion für die Opfer der Flutkatastrophe von Aceh


13.-15. Juli 2005, Verteilung der Spendenmittel von € 30.010,00 in Banda Aceh

Die größte vom Tsunami betroffene Region Asiens ist Aceh mit ungefähr 200.000 Toten. In dieser Zahl sind die hohen Verluste der indonesischen Armee nicht eingeschlossen.

Wenn man heute mit dem Auto viele Kilometer durch die zerstörte Gegend fährt, sieht man nur noch Grundflächen der zerstörten Häuser, mit nur ganz vereinzelt stehen gebliebenen Hausresten, deren Eisenbetondecken sich geborsten nach unten biegen. In Zelten hausen nach über einem halben Jahr noch immer die wenigen Überlebenden. Ein deprimierendes Bild.

Und doch kann man, wenn auch spärlich, Zeichen wieder erwachenden Lebens entdecken: Hier und da entstehen in dieser Einöde neue Häuser. Im Gras weidet ein Kuhkälbchen. Auf einem Mauerrest turtelt ein Liebespaar. Die Wasserflächen des zurückgebliebenen Meerwassers, oft auf Plätzen, wo früher Häuser standen, beginnen von den Rändern her zuzuwachsen. Vielerorts bedeckt ein grüner Pflanzenteppich die ergraute Steinwüste.

Trotz allem Leid herrscht eine Atmosphäre der Freundlichkeit: Man lächelt uns zu, spricht vertrauensvoll mit uns. Viele erzählen von ihrem Kummer. Ein Mann schenkt mir das Foto seiner toten Frau, das er immer bei sich trägt. Ein anderer überläßt mir sein Gedicht, das ich gleich wiedergeben möchte, nachdem ich seinen Bericht vorgetragen habe.

Beschreibung unserer Hilfsmaßnahmen

1. Waisenhaus "Yayasan Penyantun Islam" in Banda Aceh

Dieses Waisenhaus beherbergt 80 Kinder, darunter vom Tsunami betroffene Waisen. Es fehlt an allem. Das Essen wird in großen Kesseln in den Speiseraum getragen. Die Wände sind verschmutzt. Die Kinder schlafen, Mädchen von Jungen getrennt, in zwei großen Schlafsälen. Kein Kind besitzt einen Schrank, um die wenigen Habseligkeiten aufzunehmen. Die Not schaut aus allen Ecken. Der Leiter des Waisenhauses möchte gerne seine Kinder zu den benachbarten Schulen schicken. Aber es fehlt an Schulkleidung. Die ist nun einmal Pflicht. Sollen diese Kinder nicht zur Schule gehen können, weil sie keine Schuluniform haben? Wir helfen für ein Jahr mit einem Betrag aus unseren Spenden, der von unserem Gewährsmann für jedes Kleidungsstück direkt an den Hersteller bezahlt wird. Nur so ist gewährleistet, daß das Geld zweckentsprechend verwandt wird.

2. Krankenschwesternschule "Sekolah Perawat Kesehatan" in Banda Aceh

Hierbei handelt es sich um eine Schwesternschule, die von den Mädchen nach 9 Jahren allgemeiner Schule für 3 Jahre besucht wird. Nach Beendigung der Ausbildung finden alle in den umliegenden Krankenhäusern einen Arbeitsplatz. Unter den insgesamt 173 Schülerinnen befinden sich 76 vom Tsunami betroffene. Darunter sind 23 Vollwaisen, welche die Schule verlassen müßten, wenn nicht jemand die Kosten übernimmt. Da alle Schülerinnen später eine Arbeit finden werden, sehen wir bei unserer Unterstützung eine große Chance, diesen Kindern den Weg in die Zukunft frei zu machen. Wir übernehmen die Kosten nur für die Vollwaisen für zwei Schuljahre.

3. Dorf Gurah

In Gurah, einem Dorf zehn Kilometer von Banda Aceh entfernt, lebten früher 830 Einwohner. Nur 145 überlebten. Von den 121 Häusern vor der Katastrophe ist keines mehr vorhanden. Das Dorf war früher durch seine Textilherstellung in Heimarbeit bekannt. Diese Arbeit wurde von Frauen verrichtet. Heute sind nur noch 5 Frauen übrig geblieben, die diese Arbeit fortführen können. Als Soforthilfe erhielten sie innerhalb einer Woche 5 Nähmaschinen. Ein Nachbardorf stellte seine Moschee als Arbeitsplatz zur Verfügung. Weitere Frauen werden angelernt. Die Männer des Dorfes sorgten vor der Katastrophe für das Wohlergehen des Dorfes durch Viehhaltung. Als Soforthilfe ermöglichten wir den Kauf von 10 Kälbern. Diese jungen Kühe können nach einem Jahr zum doppelten Preis wieder verkauft werden.

Alle diese Maßnahmen bedürfen dringend der Fortführung bzw. Erweiterung. So bitten wir die Presse durch entsprechende Berichte für zusätzliche Spenden zu werben, weil diese unmittelbar ohne Zwischenorganisationen direkt an die Bedürftigen von uns weiter geleitet werden. Alle unsere Ausgaben sind durch Bescheinigungen mit Namen und Geldmenge genau belegt und werden so auch dem Finanzamt vorgelegt werden.

Wir würden uns freuen, wenn wir darüber hinaus unsere o.a. Projekte durch neue erweitern könnten.

Berichte von :

1. Baharudin (45), Ortsvorsteher von Lamtengeuh

"Morgens gegen acht Uhr ging ich von meiner Arbeit aus Banda Aceh nach Hause. Unterwegs riefen mir meine Freunde zu: "Die Affen schreien heute so laut. Es wird bestimmt etwas passieren." Ich ging weiter, und die Erde begann zu beben. Gott sei Dank hatte ich die Stadt Banda Aceh schon hinter mir gelassen und konnte unverletzt mein Haus erreichen. Hier wartete meine Familie mit dem Frühstück auf mich. Wir unterhielten uns über das Geschrei der Affen, die vermeintlich das Erdbeben angekündigt hatten. Plötzlich hörten wir von draußen unsere Nachbarn schreien: "Das Meer kommt hoch!" Hatten die Affen gar nicht das Erdbeben angekündigt sondern ganz etwas anderes? Wir stürmten aus dem Haus. Auch meine Frau, welche nur dürftig bekleidet nach dem Essen ins Bad gegangen war. Meine Frau rannte zurück, um sich richtig anzuziehen. Ich schrie hinter ihr her. Vergebens. Derweil rannte ich mit den Kindern auf einem befestigten, etwas h! öher gelegten Weg auf den Berg zu. In meinem Armen trug ich mein jüngstes Kind, meinen Sohn. Eine riesige Welle erfasste uns, schleuderte uns zu Boden. Ich drehte mich mit dem Sog mehrmals im Kreise und verlor meinen Sohn dabei, der von der Gewalt des Wassers aus meinen Armen gezogen wurde. Irgendwie gelang es mir, durch Berge von Trümmern und Ästen schwimmend den Berghang zu erreichen. Plötzlich tauchte vor mir meine Tochter auf. Ich ergriff sie. Sie umarmte mich und sagte: "Papa, habe ich geträumt?" Ich antwortete: "Nein, das ist alles Wirklichkeit." Sie umarmte und küßte mich - und war tot."

Gedicht

Wehklage eines Vaters

Weiterleben will ich nun mein Leben,
das nur noch ausgefüllt mit Sorgen.
Kinder, Frau, Vater, Mutter und Geschwister,
alle sind nicht mehr.
Nur ich allein blieb übrig.
An wen kann ich mich jetzt klagend wenden
in diesem Rest von Leben?

Mich erinnernd an die Zeit
mit den geliebten Kindern
rinnt es Tag für Tag dahin
in einem Bad aus Tränen.
Ich beginne ein Gespräch mit ihnen -sie sind nicht mehr.
Die Wogen des Tsunami haben sie verschleppt.

Wohin?
Die Zeiten voller Glanz sind tot.
So kann ich nur noch beten.
Ich baue auf den Himmel,
wo ich sie wähne. -
Eure Namen sind die Flammen im Herzen eures Vaters,
welche nie verlöschen.

2. Jusuf Harun (52) aus Gurah / Banda Aceh

"Am 26. Dezember erschütterte ein Erdbeben unser Haus. Vor Schreck sank unsere Tochter Nurmayanita (19) ohnmächtig zu Boden. Wir verließen das Haus. Mein Sohn Ferizal (17) trug seine Schwester nach draußen. Dort blieben wir aus Angst vor einem neuen Beben. Plötzlich hörten wir ein gewaltiges Rauschen. Wir wußten nicht, was das bedeutete. Dann sahen wir ganz nah das Wasser. Wir rannten um unser Leben. Vergebens. Die donnernden Wassermassen mit Geröll und Mauerresten fielen über uns her. Schließlich konnte ich einen umher treibenden Kanister ergreifen, hielt mich daran fest und umschlang ihn mit meinem Sarong. Immer wieder wurde ich unter Wasser gedrückt, aber der Kanister brachte mich nach oben. Ich spürte stechende Schmerzen in meinen Beinen. Doch ich achtete nicht darauf und hielt mich mit aller Kraft an dem Kanister fest. Zum Schluß wurde ich von einer gewaltigen Woge gegen den Berghang geschleudert. Ich! fand mich dort wieder, versuchte fortzulaufen. Vergeblich. Meine Beine versagten ihren Dienst. Ich hielt mich an Baumzweigen fest und ernährte mich von herumtreibenden Kokosnüssen. Das weitere soll mein Sohn Ferizal erzählen." Schüchtern und verlegen lächelnd kommt er der Aufforderung seines Vaters nach.
"Ich rannte mit meiner Schwester auf den Armen vor dem Wasser weg. Ganz fest umklammerte ich sie. Das Wasser überflutete uns. Wir wurden hin und her geschleudert. Auch unter Wasser hielt ich meine Schwester mit aller Kraft ganz fest. Immer wieder schluckten wir viel Wasser, bis wir schließlich an den Berghang geschleudert wurden. Vorsichtig kroch ich mit meiner Schwester weiter hoch. Dann wußte ich nichts mehr. Ich fand mich im Krankenhaus in einem Bett wieder. Meine Schwester lag neben mir. Langsam kam ich wieder zu Kräften und durfte nach fünf Tagen das Krankenhaus verlassen. Meine Schwester hatte zu viel Wasser geschluckt und mußte noch da bleiben. Sie kann bis heute noch nicht richtig sprechen. Ich eilte zum Berghang zurück und half den andern Männern beim Auffinden und Begraben der Toten. Plötzlich entdeckte ich meinen Vater. Als ich genau hinschaute, merkte ich, daß er noch lebte. Wir schleppten ihn zum Krankenhaus.! "
Hiermit schloß der Junge verlegen seinen Bericht und schaut lächelnd seine neben ihm stehende Schwester an. Der Vater zeigt uns seine vernarbten Wunden und macht uns vor, wie er mit seinen Zähnen die Kokosnüsse zerlegt hat. Dann fügt er hinzu: "Meine Frau und meine anderen 4 Kinder sind umgekommen." Er schenkt mir das Foto seiner verstorbenen Frau im Festtagsgewand, das ich zuerst nicht annehmen will.

3. Mahlil M. Sa'ad (35), Ortsvorsteher von Gurah/Banda Aceh

"Ich war zur Zeit des Tsunami nicht zu Haus, weil ich eine Arbeit auf der Insel Simeulue bei Sibolga/Sumatra angenommen hatte. Im Radio hörte ich von dem Erdbeben, schenkte ihm aber keine große Beachtung, weil unser Dorf nicht in der betroffenen Stadt Banda Aceh war, und wir öfters solche Beben hatten. Am nächsten Tage sah ich plötzlich im Fernsehen den Bericht über die verheerende Wirkung des Tsunami. Ich konnte den Berg, zu dessen Füßen unser Dorf lag, erkennen. Aber das Dorf war verschwunden. Vor Schreck erstarrt schaute ich auf den Bildschirm. Kein Haus war von dem ganzen Dorf mehr zu sehen. Wie gelähmt kam ich immer mehr zu der Erkenntnis, daß auch meine Familie betroffen war. Ich wollte sofort nach Hause. Aber wie? 15 lange Tage mußte ich warten, bis ein Schiff mich nach Banda Aceh brachte. In dieser Zeit konnte ich weder essen noch schlafen. Dann stand ich vor dem Platz, auf dem mein Haus gestanden hatte. Mein! e schreckliche Ahnung wurde zu Gewissheit: Meine Frau Rinawati (28), meine Tochter von drei Jahren und mein erst fünf Tage alter Sohn waren nicht mehr. Ich habe meinen Sohn nie gesehen. Ich wollte in meiner Verzweiflung diesen Ort sofort verlassen, aber die wenigen Überlebenden hielten mich fest und baten mich als Ortsvorsteher bei ihnen zu bleiben."

4. Frau Basaria Sugondo (50) aus Jakarta

"Ein junges Mädchen verlor durch den Tsunami alle seine Verwandten in Nias. Sie allein überlebte. Jemand von den Überlebenden der Dorfbewohner nahm das Kind auf. Ein anderer erzählte, daß das Mädchen noch eine Großmutter in Jakarta hatte, wußte sogar ihre Adresse. Auf abenteuerliche Weise gelangte das Kind zur Großmutter und wurde dort liebevoll aufgenommen. Das Mädchen konnte die Grundschule besuchen, neue Freunde finden, Hoffnung schöpfen. Dann kam der letzte Schultag der Grundschule. Die Klassenkameraden wechselten zu einer anderen Schule. Das Mädchen freute sich schon auf ein fröhliches Wiedersehen mit ihren neu gewonnenen Freunden in der anderen Schule.
Zu Hause bestürmte es ihre Großmutter: "Bitte melde mich bei der anderen Schule an." Immer wieder bettelte das Kind bei der alten Frau. Aber diese schüttelte mit Tränen in den Augen nur den Kopf: "Für diese andere Schule habe ich kein Geld. Ich kann das Schulgeld nicht bezahlen." Die Antwort überstieg das Fassungsvermögen des jungen Mädchens. Es beging Selbstmord."

Leider ist dies kein Einzelfall. Wie mir von verschiedenen Seiten aus Jakarta und Yogyakarta berichtet wurde, geschähe das öfters. Es bestehe zwar Schulpflicht, aber die armen Eltern hätten kein Geld, das Schulgeld, die Schuluniform, die Bücher und sogar die Schulbank, die das Kind benutzt, zu bezahlen. (Auch hier haben und werden wir uns mit Geldmitteln einsetzen.)


25.-26. April 2007, Schwesternschule Banda Aceh

Bericht von Otto und Tieneke Abt

Gleich am Flughafen erwartet uns schon der Schulleiter mit seinen Schulvertretern: Wiedersehen von Freunden mit Umarmungen und herzlichen Worten. Schnell umziehen im Hotel. Die Schüler mit ihren Angehörigen warten schon auf uns. Kurze Zeit später braust das Auto los und bringt uns zur Schule.

Dort haben sich alle Schülerinnen und deren Angehörigen versammelt, um uns festlich zu empfangen.

Im großen Vorlesungsraum zeigt der Schulleiter die Hilfsaktion der DIG Südwestfalen in Zahlenaufstellungen auf der Bildwand.


Gerade vor ein paar Tagen schlossen 12 von uns unterstützte Schwesternschülerinnen ihr Abschlussexamen erfolgreich ab. Bei den folgenden Ansprachen kommen wieder die schrecklichen Erlebnisse des Tsunami in Erinnerung, aber auch die Freude über unsere Hilfe aus Deutschland in größter Not. Dann bietet sich uns die Gelegenheit, mit jeder einzelnen Schülerin kurz zu reden. Wir versprechen den 20 mittellosen Mädchen aus den Klassen I und II, sie weiterhin finanziell zu unterstützen, damit sie ihr Studium beenden können.

Bei einer kurzen Rundfahrt durch Banda Aceh, entdecken wir zwar immer noch große Wasserflächen des eingedrungenen Meerwassers, aber auch die schier unzähligen neuen Häuser, die dort überall entstehen. Die Zelte, in denen noch im letzten Jahr viele Bewohner hausen mussten, sind fast gänzlich verschwunden. Überall herrscht Aufbruchstimmung, und es wimmelt von emsigen Arbeitern.



zurück zur Übersicht Projekte