Siegener Zeitung, 25.06.2003

Dem fließenden Wasser lauschen

Siegener Gamelan-Orchester: fremde Klangwelten und Bereicherung der eigenen Kultur

Das quirlige Rubensfest von einer ruhigen Seite: Zu den vielfältigen Möglichkeiten, die die dreitägige Großveranstaltung in der Siegener Oberstadt den Besucherscharen bietet, gehört auch eine Reise in fremde Klangwelten, angeboten vom Siegener Gamelan-Orchester. Die SZ besuchte die Musiker bei den Proben für ihren Auftritt am kommenden Samstag.

Die Musik erscheint wie ein undurchdringlicher Wald. Klänge ranken sich wie unbekannte Pflanzen umeinander. Tonfolgen werden zu nie gehörten Sätzen in einer fremden Sprache. Ein Muster, dem die Ohren folgen könnten, bleibt vorerst verborgen. Aber es muss eines vorhanden sein, denn der fremde "Wald" hat einen "Sound", etwas Unverwechselbares. Der Rhythmus tieftönender Trommeln nimmt das Ohr mit auf eine erstaunliche Reise durch einen fremdartigen Klangraum.

Die Atmosphäre im Orchester ist ruhig und entspannt. Warmes Sonnenlicht fällt durch die großen Fenster im Übungsraum an der Weidenauer Engsbachstraße. Die Spielerinnen und Spieler sitzen konzentriert an ihren Instrumenten und folgen der Partitur. Vor fast 13 Jahren wurde das Orchester gegründet. Genügend Interessierte wollten den Schritt in eine ungewohnte Musikwelt wagen, erinnert sich der Leiter des Orchesters, der Weidenauer Pädagoge Otto Abt. "Sie sind größtenteils bei uns geblieben", sagt er. Die Beständigkeit der Musikergruppe wirft ein Schlaglicht auf einen wichtigen Aspekt des Spiels: "Hier gibt es keine Solisten. Hier geht es nicht um individuelle Gefühlslagen, sondern um das Gesamterlebnis einer Gruppe."

Beim Zuhören wird deutlich, was Abt meint: Es braucht eine gewisse Zeit, bis bei den Proben aus der Suche nach dem gemeinsamen "Sound" der ganz besondere Klangraum entsteht. Es ist, als würden sich schwingende Pendel in ihrer Bewegung einander angleichen - ein unmittelbarer Eindruck von gemeinsamer Meditation entsteht. Der Orchesterchef bestätigt das: Der Wert der Gamelan-Musik liege tatsächlich in der Meditation. Sie sei aber, betont er, keine Meditationsmusik im westlichen Sinn. Die Musik habe einen "kreisenden" Charakter, sagt Abt, und der helfe dabei, sich in die Tiefe, zu den Wurzeln der eigenen Existenz zu begeben. "Deshalb soll man Gamelan-Musik hören, wie man dem Geräusch des fließenden Wassers lauscht", greift er ein Bild auf - "ganz ohne Intention, einfach nur hören."

Farben leuchten in der Sonne auf. Farben in der Musik, Farben auch auf den Instrumenten: kräftiges, "summendes" Rot auf den hölzernen Gestellen, warme Goldtöne in den Schnitzereien, Bronze-Instrumente mit vernebeltem Metallschimmer. Das Instrumentarium ist etwa 60 Jahre alt, entstammt einer Gamelanwerkstatt aus Surakarta in Zentraljava und befindet sich in Besitz von Otto Abt und seiner Frau Tieneke Parartini Abt. Ihr ist auch die musikalische Führung des Orchesters anvertraut. Schließlich ist die Indonesierin seit ihrer Kindheit mit dem Gamelan vertraut.

In der Anfangszeit des Orchesters genossen die zwölf Spieler sogar eine akademische Ausbildung: Die Gamelan-Dozenten Soetikno und Supardi von der Hochschule für Gamelan-Musik in Surakarta und der Rektor der Hochschule, KRT. Prof. Dr. Soetarno lebten für mehrere Monate in Weidenau und erschlossen den Europäern die Gamelan-Musik.

Viele Instrumente stehen in dem Übungsraum, überall dominiert die Verbindung von Holz und Bronze. Die Namen klingen so fremd wie die Musik: Saron-Penerus, Demung, Saron-Barung und Slentem erinnern an Xylophone, aber mit Metallplättchen. Sie spielen die Hauptmelodie. Bonang, Gambang, Gender und Celempung "umranken" die Hauptmelodie. Außerdem gibt es Flöten und eine Art Fidel sowie die verschiedenen Gongs. "Gong" ist übrigens ein asiatisches Fremdwort im Deutschen, auch wenn man's nicht glauben mag, weil es genauso klingt wie auch das Instrument.

"Gamelan spielen lernt man ein ganzes Leben lang", sagt Abt. Die Spieler fangen sofort mit einfachen Stücken auf einfachen Instrumenten an. Nach und nach lernen sie die einzelnen Instrumente spielen und können später nach persönlichem Bedürfnis das Instrument wechseln. "Gamelan-Musik ist eine ernste, wichtige Musik aus dem indonesischen Kulturraum, die heute immer noch in den Palästen und bei fast allen Feiern gebraucht wird", erklärt Abt und berichtet: "In den 70er Jahren war ich auf Java und habe dort Gamelan-Musik gehört, die mich sofort sehr beeindruckt hat." Dabei ist es nicht leicht für europäische Ohren, sich an die undurchdringliche Fülle der Klänge zu gewöhnen. Aber "sich darauf einzulassen heißt, langsam in eine andere Kultur einzudringen". Die Bereicherung des eigenen kulturellen Lebens durch fremde Kulturen führe am sichersten zum Abbau von Feindseligkeiten.


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Landrang Mugirahayu
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